Zufall - So nicht geplant oder erwartet. (Gedankengänge)




Worum geht es mir beim kreativen Arbeiten? Zunächst einmal darum, aus mir heraus zu kommen. Nicht, dass ich irgendwo feststecke oder mich verstecke. Keinesfalls. Es ist eher ein Herauskommen wie Durchatmen oder tief Luft holen. Sich Zeit für etwas nehmen, dass nicht bittet, ansteht, benötigt wird oder sein muss. Denn ich bin eigentlich immer mit wichtigen Dingen wie den Kindern, der Arbeit, dem Haushalt oder Alltag beschäftigt und ausgefüllt. Alles schön und gut. Im wahrsten Sinne des Wortes. Gelegentlich fühlt es sich aber mehr so an wie – um es in den Worten von Ödön von Horváth zu formulieren:

„Eigentlich bin ich ganz anders, ich komme nur viel zu selten dazu.“

Kreatives Arbeiten beginnt für mich damit, keine Erwartungen zu stellen, offen zu sein, komme was wolle, etwas ausprobiere und somit in gewisser „Art“ etwas zu riskieren. Denn wo das hinführt bleibt abzuwarten. Ins Spiel kommt da neben dem Zufall das Glück, Pech, Geschick und die Tagesform – die ganz eigene Sicht der Dinge. 

In der Kunst wird der Zufall schon seit langer Zeit thematisiert und ist als bildgebendes Element bekannt. Wer hätte gedacht, dass schon Leonardo da Vinci (1452-1519) mit dem Zufall experimentierte? In einem Text von 1492 empfiehlt er den angehenden Malern, „Gemäuer mit Flecken oder mit einem Gemisch aus verschiedenen Steinen“ anzusehen. Warum? Weil diese Inspiration und Ideenquelle sein können.

Bei genauem Hinsehen lassen sich – mit etwas Fantasie – Berge, Flüsse, Felsen, Bäume, Täler, Hügel, seltsame Gesichter und unendlich viele Dinge mehr erkennen. Leonardo lenkt im ausgehenden 15. Jahrhundert die Aufmerksamkeit auf Flecken, die dem Maler als Anregung dienen sollen. Flecken sind in seinen Augen ausschließlich ein Mittel zur Bilderfindung, sie besitzen keinen Eigenwert.*

* Vgl.: DER FLECK ZWISCHEN KOMPOSITION UND ZUFALL - Informelle Ansätze in der frühen Neuzeit / Raphael Rosenberg / S. 43 Zufall als Ursprung / http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/179/1/Fleck_2004.pdf

Kreativität nennt man die Qual, die man hat, bei der Wahl der Ideen!
(Tatuljan, David)

Der Künstler Max Ernst (1891-1976) lässt sich - wie auch Leonardo - vom Zufall inspirieren. Er geht aber noch einen Schritt weiter, indem er die Zufallstechnik bzw. den Zufall selbst als Bestandteil oder Ergebnis (s)eines Gestaltungsprozesses nutzt. Max Ernst erfand mehrere Mal- und Zeichentechniken, die zufällige Strukturen erzeugen. Er gilt etwa als Begründer der Frottage (frz. frotter „reiben“) – eine alte Drucktechnik, bei der die Oberflächenstruktur / ein Material durch abreiben auf ein Papier übertragen wird.

Der Surrealist Max Ernst machte sich auch die Technik Décalcomanie zunutze – heute auch bekannt als Abklatschtechnik – bei der der Zufall den Farbabdruck bestimmt, der dann in den Gestaltungsprozess mit eingebunden wird. Die zufällig entstandenen Strukturen deutet der Künstler beispielsweise als mystische Traumwelten und bezog weitere Techniken wie Collage, Zeichnung oder Malerei in seine Werke mit ein. So entstanden phantastische Figuren, Fabelweisen, Tiere, geheimnisvolle Landschaften wie etwa in dem Bild „Europa nach dem Regen II“ von 1940-42 gut zu erkennen.


In einigen Bildern seines Spätwerkes – z.B. „Der verwirrte Planet“ von 1942 - verwendet Max Ernst die Maltechnik Dripping (engl. für „getropfte Malerei). Diese Maltechnik ähnelt dem „Action Painting“, das der expressionistische Künstler Jackson Pollock (1912-1956) in der Kunstgeschichte etablierte.



An dieser Stelle sei auch der Tachismus kurz zu erwähnen (von französisch la tache = Farbfleck), der ähnlich wie das „Action Painting“ – dem Abstrakten Expressionismus in den USA – spontane Empfindungen durch den Auftrag von Farbflecken auf beispielsweise eine Leinwand darstellt. Als französischer Maler des Tachismus ist beispielsweise Roger Bissiere (1886-1964) zu nennen.



Die Idee entspringt nicht der Phantasie, des Künstlers, sondern seiner Wirklichkeit.
Es kommt allerdings vor, dass die Phantasie seine Wirklichkeit ist.
Andreas Otto

An dieser Stelle möchte ich meinen kleinen Ausflug in die Kunstgeschichte auch schon beenden, den ich auf wenige Künstler und Maltechniken beschränkt habe. Mir ging es darum, kurz aufzuzeigen, dass derlei, vom Zufall beeinflusste Herangehensweisen, beim kreativen, künstlerischen Arbeiten viel „normaler“ sind als der ein oder andere vielleicht denkt.

In der Idee leben heißt, das Unmögliche behandeln, als wenn es möglich wäre.
Johann Wolfgang von Goethe

Die meisten beurteilen, betrachten, bemessen Kunst bzw. künstlerische Arbeiten aus einem Blickwinkel, der den Schaffensprozess oder das Herangehen eines Künstlers oftmals nicht – mehr - erkennen lässt. Insbesondere Werke von Leonardo da Vinci werden vielen – mehr oder weniger Kunst interessierten – geläufig sein. Das auch dieser Künstler nicht nichts dem Zufall überlassen hat, dürfte den ein oder anderen aber doch überraschen.

Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.
Albert Einstein

Kunst als das zu bewerten, was am Ende übrig bleibt, ist wunderbar überschaubar. Auch wenn wir es uns da vielleicht ein wenig zu einfach machen. Das muss letztendlich jeder selber wissen. Da ich aber sehr oft in ganz unterschiedlichen Situationen mit der Frage konfrontiert werde, wie Künstler auf ihre Ideen kommen, woher sie ihre Inspiration nehmen oder wie man mit einer künstlerischen Arbeit anfangen soll, dachte ich, dass ich auch hier auf meinem Blog kurz auf den Punkt gebracht, den Zufall mit ins Spiel bringe. 

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